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Das Pfarrhaus im Moor

3. Der erste Schritt ins neue Heim

     Doch was war das? Ein unruhig heller Schein strahlte uns entgegen. Bevor ich darnach fragen konnte, hielt unser Wagen an [Gasthof Bunger - heute Billker – jetzt Volksbank]. Ich hörte unseren Begleiter vom Bock aus sprechen, sah einen Mann stehen, und bekam von einem Manne ein Zeichen, daß wir da seien am ersten Hause unseres Ortes. Alle Hüllen wurden schnell gelöst, der Mann vor dem Wagen begrüßte uns durch Wort und Händedruck und reichte uns ein Glas Wein zum Willkommen. Erst jetzt bemerkte ich, daß sich viele Leute angesammelt hatten und vor dem Hause eine mächtige Pechfackel brannte. Als wir nach einem Dankeswort weiterfuhren, zog vor uns her ein geordneter Festzug, die Schulkinder voran. Vor allen Häusern, an denen wir vorbeifuhren, brannten helle Fackeln, die sich im Wasser des Kanals, der unsere Kolonie durchzieht, freundlich wiederspiegelten und nicht verloschen trotz des Regens. Es waren Torfstücke, mit Petroleum getränkt und auf Stöcke befestigt, welche Art der Fackeln mir sehr imponierte.

   Anderen Tages sollten wir erfahren, daß durch diese festliche Beleuchtung der Nachbarort mit seinem übereifrigen Feuerwehrhauptmann stark in Aufregung versetzt worden war. In der festen Überzeugung, einen großen Brand entdeckt zu haben, hatte er Alarm geschlagen und stand mit seiner hilfsbereiten Garde zum Aufbruch nach der Brandstätte fertig, als ihm die Nachricht wurde, es sei nur zum Empfang einer Pfarrfrau illuminiert. Nach 10 Minuten hielten wir wieder vor einem Hause. Diesmal vor dem unsrigen. Die Fenster waren hell erleuchtet und die Türe bekränzt. Gerührt von diesem festlichen Empfang, wollte ich den Wagen verlassen, als ein lieblicher Gesang der Schulkinder vorm Hause uns bannte. "Gott grüße dich", erklang es aus wohl 80 Kehlchen, worauf der Lehrer (Ludwig B. Harms) uns im Namen der ganzen Gemeinde bewillkommnete. Um von den vielen Umstehenden gehört zu werden, mußte mein Mann sich auf einen Stuhl stellen, um unsere Dankesworte allen laut zuzurufen. Im Hause selbst erwarteten uns die jungen Mädchen des Ortes. Eines derselben trat auf uns zu und überreichte mit einem sinnigen Gedicht allerlei nützliche Gaben der Hausfrau zum Gebrauch. Wirklich ergriffen ob solcher Liebe, drückte ich jedem die Hand und freute mich wirklich herzlich über jedes freundliche Willkommenswort.

   Doch einen Schrecken sollte ich beim Eintritt in die Wohnstube bekommen. Der Tür gegenüber, zwischen 2 Fenstern, brannte auf eiserner Platte ein mächtiges Torffeuer. Hell lodernd schlugen die Flammen empor, und ich fürchtete, daß im nächsten Augenblick das Feuer die Stubendecke ergreifen würde. Jedenfalls, so dachte ich, hätte man Unglück mit dem Ofen gehabt, daß derselbe zusammengefallen und nun notdürftig, gewiß im letzten Augenblick wieder alles soweit geordnet sei, daß man durch ein offenes Feuer das Wohnzimmer erwärmen konnte. Darum nahm ich auch im ersten freien Moment meinen Gatten zur Seite und frug ängstlich nach dem Zusammenhang dieser mir so gefährlich vorkommenden Erscheinung. Und was ich jetzt hörte, begriff ich wirklich nicht sogleich, o nein, es gehörte lange Zeit, eine wirkliche Praxis und Übung dazu, diese Erklärung vollständig zu verstehen. Mein Mann sagte völlig ernsthaft, und brauchte ich an einen Spaß seinerseits in diesem Punkt nicht zu denken: "Das ist kein zusammengefallener Ofen, das ist ein hier allgemein gebräuchliches, offenes Herdfeuer mit einem herabhängenden eisernen Rauchfang, in welchem eine auf-und niedergehende Hängekette den Wasserkessel hält, worin über dem rauchenden Torffeuer das hier viel gebrauchte Teewasser gekocht wird. Und du", lautete sein Schlußwort, "du sollst und mußt künftighin über diesem offenen Feuer uns täglich unsere Mahlzeit bereiten".

   Nun, ich sagte schon vorhin, ich begriff den vollen Inhalt dieser Botschaft tatsächlich nicht sogleich, doch der allernächste Vorgang sollte mir darüber noch nachzudenken Gelegenheit geben. Man hatte um den Tisch herum Platz genommen, und mit behender Flinkigkeit bereiteten die freundlichen Nachbarinnen den Tee für die große Runde. Sie taten dies, indem sie in ein nur sehr kleines Teekännchen sehr viel schwarze Teeblätter taten und damit zum offenen Herdfeuer traten. Jetzt sah ich den durch den Rauch des Feuers geschwärzten Wasserkessel hängen. Mit großer Sicherheit, die von Gewohnheit zeugte, griffen die Frauen meiner Ansicht nach fast in das Feuer, und nahmen den Kessel vom Haken der Kette, gossen das kochende Wasser über die Teeblätter im Kännchen und stellten dasselbe zum Ziehen des Tees auf die eiserne Platte, schenkten dann die Teetassen, die vor den Gästen auf dem Tische standen, zur Hälfte mit Tee ein, nachdem sie zuvor noch in jede Tasse ein großes Stück weißen Kandiszucker und einen Teelöffel voll Sahne getan hatten. Dann füllten sie vorm Feuer die Kanne wiederum aufs neue, und machten abermals die Runde, um jetzt die Täßchen ganz voll zu schenken. Nachdem die hausmütterlichen Nachbarfrauen abermals vor dem Feuer die Kanne gefüllt und auf die Platte gesetzt hatten, kamen sie selbst an den Tisch heran, nahmen die für sie bestimmten Tassen zur Hand und forderten damit auf, allgemein anzunehmen, was dann auch geschah.

   Ein jeder trank, oder besser schlürfte den Tee aus, ohne die Tasse dazwischen wieder hinzusetzen, und ohne den harten Zucker mit einem Löffel zu berühren. Sodann wurden die Tassen stillschweigend wieder auf den Tisch gestellt, und die freundlichen Wirtinnen schenkten, genau wieder wie zuvor, die zweite Tasse ein, nur mit dem Unterschied, daß diesmal nur Sahne, nicht aber auch wieder Zucker in die Tasse getan wurde, da das erste Stück Zucker zu zwei, wohl auch zu drei oder vier Tassen Tee reichen mußte. Nachdem auch die zweite Tasse auf genau dieselbe Weise geleert war, wurde die Obertasse umgestülpt auf die Untertasse gestellt, ein Zeichen, daß man dankte für mehr. Alle verstanden dies Zeichen, denn es gehörte zu ihren Gewohnheiten. Nötigungen noch ein Täßchen anzunehmen, waren damit völlig überflüssig gemacht, die Wirtin war der Bitte, der Gast des Dankes überhoben, und, wie ja auch in manch anderer Gesellschaft, wenn der erste Gast dankt beim wiederholten Anbieten der Gerichte, auch die folgenden Gäste sich dadurch veranlaßt fühlen, gleichfalls zu danken, so war es auch hier Brauch, es wurden alle Obertassen umgestülpt, nachdem der erste Gast dies getan. Man sparte sich jedes überflüssige Reden, charakteristisch für die bekannte große Wortkargheit unserer Norddeutschen.

   Auf mich machten all die fremden Sitten großen Eindruck, und ich ging nicht fehl in der sofortigen Annahme, daß man mir hatte hiermit zugleich auch zeigen und zu verstehen geben wollen, wie auch ich mich nun künftighin ihnen gegenüber bei ihren Besuchen zu verhalten hätte. Nun, ich hatte aufgepaßt, und war bemüht, gleich von Anfang an, diesen Gewohnheiten gerecht zu werden, wohl bewußt, daß ich die Fremde war, wie jene dort Einheimischen so gern und immer mit Betonung alle nicht aus ihren Grenzen Stammenden zu nennen pflegten, die sich wohl oder übel nach den dort herrschenden Sitten und Gebräuchen richten mußte. Ich tat dies auch sehr gern in der festen Überzeugung, daß ja hier meine zweite Heimat sein sollte, und in der zuversichtlichen Hoffnung, allen dadurch doch in Zukunft nicht mehr fremd gegenüber, sondern recht nahe zu stehen. Als sich die Spitzen des Ortes alle entfernt hatten, mußte ich aber nun vor allem unser Haus, mein Heim, das Pfarrhaus in Augenschein nehmen und sehen, ob es mit der gemachten Schilderung stimmte.

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