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Die Fehntjer verweigern dem Kaiser der Franzosen die Wehrpflicht

von Heinrich Roskam

(in: Friesische Blätter 1969: Das Rhauderfehn, S. 137ff)

    Im frühen Mittelalter war Friesland in Terrae (Landschaftsverbände) eingeteilt. In unserer engeren Heimat waren z. B. das Saterland, das Overledingerland, das Rheiderland, das Moormerland und Uplengen solche Terrae. Innerhalb dieser Verbände waren die Bewohner wehrpflichtig und in Fähnlein eingeteilt. Die Anführer nannten sich Luitnand und Fähnrich, aber auch der Schüttemeister innerhalb der Kirchspiele hatte damals eine führende Stellung innerhalb dieser Bauern-Miliz.

    Noch im September des Jahres 1399 schlugen die Overledinger und Sater gemeinsam Witzelt tom Brook, der mit seinen Seeräubern und Patjacken auf der Deternergaste lagerte, vernichtend. Auch in der zweiten uns bekannten Schlacht von Detern schlugen sie unter der Führung von Fokko Ukena den gemeinsamen aus dem Oldenburgischen vordringenden Feind und jagten ihn in die Sümpfe (Krietskolk).

    Auf dem Papier bestanden diese Fähnlein noch im 18. Jahrhundert. Als die Häuptlinge etwa um das Jahr 1440 in Ostfriesland mit Hilfe der Hamburger zur Macht kamen und sich Graf von Ostfriesland nennen durften, war es mit diesem Bauernheer bald vorbei.

    Die Ständeversammlung, bestehend aus Häuptlingen, der Geistlichkeit und dem Hausmannsstand, versagte ihnen die Gunst. Die Stände glaubten, damit einer völligen Abhängigkeit besser entgehen zu können. So mußten die Grafen sich der Söldner bedienen, von denen es damals genügend gab. Diese lockte der versprochene Sold und in Fehdezeiten der versprochene Anteil an der Beute.

    Mit Söldnern waren auch die Rhauderschanzen besetzt, als im Herbst des Jahres 1622 die Mansfelder erschienen und in kurzer Zeit Herr der Lage waren. Auch Stickhausen fiel im Handumdrehen.

    Im Jahre 1744, am 25. Mai, verstarb der letzte Souverän Ostfrieslands kinderlos. Seit dem Großen Kurfürsten von Brandenburg unterhielten die Preußen ein Marinebataillon in Emden. Von diesem Bataillon trafen schon am 4. Juni des selben Jahres 60 Soldaten in Aurich ein. Aus Pyrmont folgten am 8. Juni 500. Auf dem Herd des Regierungsgebäudes in Aurich wurde das Feuer für die Cirksenas gelöscht und neu mit Soden vom Stadtwall für Preußen entfacht. Nach den damaligen Gepflogenheiten war dieses damals so rechtens. Wer wollte den Preußenkönig Friedrich II. auch daran hindern! Außer anderen Bedingungen verlangte er für die Befreiung der Ostfriesen vom Wehrdienst ein Freiengeld von jährlich 16.000 Thaler.

    In dem Dokument des Königs vom 19. April 1769, das die Konzession zur Rhauderfehngründung enthält, greift der König wohl auf Vorstellung der Unternehmer auf diesen Handel zurück und dokumentiert, daß auch die künftigen Bewohner des Rhauderfehns frei vom Militärdienst sein sollten. - Der Wunsch der Stadt Emden, dort gegen die englischen Übergriffe eine Kriegsmarine aufzubauen, blieb ohne Erfolg. Der König scheute die hohen Kosten, auch war er dauernd in Kriege verwickelt.

    Dieses alles sollte sich ändern, als Napoleon Bonaparte sich im Alter von 35 Jahren zum Kaiser der Franzosen machte und seine Expansionsgelüste sich über ganz Europa erstreckten. Seinen steilen Aufstieg verdankte er seiner überragenden Intelligenz, seiner Schaffenskraft, seinem brennenden Ehrgeiz, seinem persönlichen Mut und nicht zuletzt seiner ungemeinen Rücksichtslosigkeit.

    Mit vereinten Kräften versuchte man ihn an seinem Vormarsch durch die Niederlande zu hindern. Die Engländer und mit ihnen die Hannoveraner zogen sich über die Ems zurück. Overledingen mußte viele englische und hannoversche Soldaten aufnehmen. Die meisten waren abgehetzt und krank. Der spätere König von Großbritannien und Hannover hatte in der Pastorei von Rhaude sein Quartier bezogen.

    In den Niederlanden setzte der Kaiser Napoleon seinen Bruder Louis Napoleon zum König ein, und im Jahre 1806 war auch schon Ostfriesland zur 11. Provinz der Niederlande erklärt. Dieses war das Signal Englands, die Ostfriesen-Schiffe zu kapern und in ihren Häfen festzuhalten. Am Ende des Jahres 1806 belief sich diese Zahl auf 163 Schiffe.

    Von dem Augenblick an, als im August 1806 Preußen den Krieg an Napoleon erklärte, folgten in französischen Häfen weitere 90 Ostfriesen-Schiffe, und als die Franzosen in Lübeck einrückten, fanden sie dort derer 29 vor. - Norwegen tat es den Engländern gleich. So darf es uns nicht wundern, wenn der Handel in Ostfriesland über See völlig zum Erliegen kam.

        Von Napoleon war außerdem die Kontinentalsperre verhängt worden. Louis Napoleon konnte diese Blockade nach Auffassung seines kaiserlichen Bruders nicht wirksam genug aufrecht halten, er wurde abgesetzt. Der Schmuggel in den Sielorten stand in voller Blüte, bis der Kaiser eingriff. Ostfriesland wurde mit Jever zusammen das Departement "Ost-Ems". Für uns hier war Emden das Arrondissement (Unterabteilung) und Detern-Stickhausen der Canton. Die Marie (Gemeinde) für die beiden Rhauderfehne war Rhaude.

    So ist es kein Wunder, daß uns exakte Angaben dafür bislang nicht überkommen sind. Wir müssen hier auf die Ostfriesische Geschichte zurückgreifen. Als Departement OSTEMS war Ostfriesland dem Kaiser Napoleon direkt unterstellt und gehörte nunmehr zu Frankreich.

    Schon die erste Truppenaushebung zeigte den Ostfriesen, daß ihnen die Abmachung von 1744 mit dem Preußenkönig nicht mehr helfen konnte. Diese Aushebung erfolgte etwa sechs Wochen nach der Zeit, als Ostfriesland zum Departement des französischen Reiches geworden war, im Februar 1811. Unter anderen wurden 80 Seeleute gebraucht, und kurz darauf mußte das Departement nochmals 300 erfahrene Seeleute stellen.

    Außer einigen Deserteuren und solchen, die der Musterung von vornherein fern blieben, ging die Aushebung zur Armee ziemlich glatt vonstatten. Die welterfahrenen Seeleute sträubten sich vor einer gewaltsamen Anmusterung. Hauptsächlich in Leer und Stickhausen leisteten sie zum Teil bewaffneten Widerstand gegen die Musterung, so daß der Präfekt flüchten mußte. Die Musterungen konnten nicht durchgeführt werden.

    Die totalitäre Machtstellung des Kaisers ließ ein solches Verhalten nicht zu. Die zur Musterung aufgerufenen Seeleute wurden in kleinen Trupps zusammengeholt und in die Uniform gesteckt. Zwei Rädelsführer wurden zum Tode, und zehn zu langjährigem Kerker verurteilt. Außerdem wurden von den Fehnen noch 300 Männer wahllos festgenommen und nach Toulon und Lille zur Ketten-Karrenstrafe gebracht, das heißt sie wurden an ihren Schiebkarren, mit denen sie arbeiten mußten, Tag und Nacht angeschlossen. - Am schlimmsten war der Widerstand in Timmel und Neuefehn, dort hatten die Schiffer sich verschanzt und es kam zu Feuergefechten, bis eine Kompanie Soldaten anrückte und sie zur Übergabe zwangen.

    Für das Landheer und den Kriegszug nach Rußland stellte Ostfriesland von 1811-1813 im ganzen 2326 Soldaten. Nur wenige kamen zurück. - Den in fremden Häfen Internierten und mit den gekaperten Schiffen in Gefangenschaft geratenen Seeleuten erging es zumeist nicht besser. Auch sie wurden zwangsweise unter die Besatzung einer fremden Nation, von der sie gefangen gehalten wurden, auf Schiffen verteilt. Im Volksmunde heißt diese Zeit "de Griepetied". Auch die Erinnerung an die Vokabel "Karrenstrafe" ist bei der älteren Generation noch lebendig.

    Die Wehrpflicht blieb auch in der Hannoverschen Zeit in Ostfriesland bestehen. Es wurde gelost. Wer ein niedriges Los zog und gesund war, konnte damit rechnen, daß er Soldat sein mußte. Begüterte konnten sich freikaufen, indem sie auf eigene Kosten einen Ersatzmann stellten. - Als wir im Jahre 1866 wieder an Preußen kamen, war die Bevorzugung der Begüterten vorbei. Jeder gesunde Mann mußte den bunten Rock anziehen. Die Infanteristen dienten zwei Jahre, das galt auch für die Artillerie, außer der Reiterabteilung. Die Kavallerie und die Marine mußten drei Jahre dienen.

    Im Laufe der Zeit gewöhnten sich auch die Fehntjer an die Wehrpflicht. Als im August 18l4 der erste Weltkrieg ausbrach, waren die Menschen mit wenigen Ausnahmen sehr begeistert. Dieses änderte sich aber, je länger der Krieg dauerte. Daß man den Mut aber nicht hat sinken lassen, das beweist der Spruch auf dem Denkmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges auf dem Ehrenfriedhof in Westrhauderfehn (altes Foto).

    Am 26. August 1969 waren es genau 30 Jahre her, daß der erste Mobilmachungstag zum zweiten Weltkrieg war. Am selben Tage mußten in Holte und Jhrhove nach vorheriger Musterung Pferde, Pferdegeschirr und Wagen gestellt werden. Am anderen Tage mittags um 12 Uhr mußte ich z. B. in Ritterhude sein, um als 42jähriger zum zweiten Mal Soldat zu werden.

Quellen:

Akten aus der Franzosenzeit der Gemeinde Collinghorst im Archiv des Fehn- und Schiffahrtsmuseums in Westrhauderfehn,

und: Ostfriesische Geschichte von Enno Klopp aus Leer.

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