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Ostfriesischer Alltag in der Franzosenzeit

Einquartierungen in Norden - Wiederaufgefundene Briefe

Gerhard Canzler, Norden:

(Aus: Ostfreesland-Kalender, Norden, 1992, S. 235ff)

Die Besetzung Ostfrieslands durch holländische Truppen im Oktober 1806 brachte im Zuge der Besitzergreifung des Landes durch Napoleon große Belastungen für die Bevölkerung mit sich. Die Norder Bürger teilten bereits einen Monat später das Schicksal Auricher, Leeraner und Emder Einwohner, holländische Besatzungssoldaten[ in ihren Mauern aufnehmen zu müssen und ohne Entschädigüng Kost und Logis zu gewähren.

Am 22. November 1806 rückte das 1. Bataillon des 9. Regiments der Königlich-Holländischen Infanterie unter Captain Hoffmann in Norden ein. Das Bataillon setzte sich aus acht Offizieren, 34 Unteroffizieren und 223 Mann zusammen; außerdem gehörten ihm elf Tambours (Trommelschläger) und Pypers (Pfeifer) und drei Fourriere (für Unterkunft und Verpflegung zuständige Unteroffiziere) an. Die 288 Angehörigen des Bataillons wurden auf 24 Privatquartiere verteilt.

Allen Einwohnern, "welche in ihren Häusern-Bier und scharfe Getränke verschenken (ausschenken)", untersagte der Magistrat ausdrücklich, Soldaten, die nicht dort Wohnten, nach Zapfenstreich, das heißt nach abends sieben Uhr, in ihrem Haus aufzunehmen und ihnen Bier oder Genever auszuschenken.

Am 4. April 1807 mußte die Stadt Norden ein Kontingent yon 100 holländischen Offizieren für längere Zeit aufnehmen. Man kann davon ausgehen, daß zu dem Zeitpunkt die erste Einquartierung bereits beendet und die Truppen abgezogen waren. Der Magistrat forderte die Quartiergeber auf, "bei poena" (Strafe) 50 rthl (Reichstaler) den Offizieren ein ordnungsgemäßes Quartier zu überlassen und die Einquartierten "standesgemäß" zu behandeln.

Die Quartierlisten weisen aus, daß auch die Honoratioren der Stadt nicht von der Bewirtung der Offiziere verschont blieben. So werden zum Beispiel "Monsieur von Knyphausen", Hausnummer 7 (am Markt), ebenso genannt wie der Administrator von Wicht, Osterkluft Nr.30, oder der im Ruhestand lebende Bürgermeister Neupert, Osterkluft Nr. 100. Auch die "Ratsverwandten" (Ratsherren) Conerus, Hausnummer 193, Harmens, Nr.200, und Uven, Nr.237, sind aufgeführt. Selbst Superintendent Kirchhoff, Westerkluft Nr.580, und der amtierende Bürgermeister von Glan, wohnhaft Westerkluft Nr.582, mußten je einen holländischen Lieutenant in ihrem Haus aufnehmen.

Der Kommandant wohnte im Hause Hoppe am Neuen Weg. Eine bis heute dort aufbewahrte Kaminuhr soll sich in dessen Besitz befunden haben.

Hin und wieder hät es zwischen den Quartierleuten und den Besatzern Schwierigkeiten gegeben. So zeigte 1807 der holländische Premierlieutenant Kroje an, daß ein Offizier, der bei dem Kaufmann Reemt Janssen Uven untergebracht war, so schlecht bewirtet werde, "daß derselbe mit einem bloßen Butterbrodt und einem Glase Genever vorlieb nehmen müsse". Deshalb wurde vorgeschlagen, daß auf Kosten des Norder Bürgers dem Offizier im Weinhause, dem bekannten Gasthof am Markt, mittags und abends ein Speisequartier angewiesen werden möge. Der Magistrat bewilligte dies einstimmig, und es wurde sofort eine Anweisung an den Gastwirt Heun angefertigt.

Am 12. Dezember 1807 ordneten Amtsverwalter, Bürgermeister und Rat eine "Abkündigung" von der Kanzel der Ludgerikirche an, die folgendermaßen lautete:

"Da seit einiger Zeit hie und da zwischen dem Militair und einigen unruhigen Einwohnern Zänckereyen vorgefallen sind, die leicht in der Folge zum Nachteil der ruhigen Bürger gereichen könnten, wird hierdurch jeder Einwohner in der Stadt und dem Amte Norden ernstlich gemanet, sich mit keinem Soldaten in Streitigkeiten, Wortwechsel oder gar in Prügeley einzulassen, sondern jeder, welcher sich von einem Soldaten nur im geringsten beleidigt zu sein glaubt, hat sich deshalb sofort mediat (unverzüglich) bey dem hieselbst commandierenden Herm Officier zu melden und die genaueste Unterstützung und sicherste Satisfaktion (Genugtuung) zu gewärtigen. Dahingegen alle Einwohner, die sich demohngeachtet unterstehen, durch Prügeley sich selbst Recht verschaffen zu wollen, mit aller Strenge der Gesetze von der Civil-Obrigkeit behandelt und bestraft werden.

Signatum Nordae in Curia (auf dem Rathaus) am 12. Dec. 1807."

Die am 17. Dezember 1807 einrückende Abteilung gehörte zum 2. holländischen Infanterieregiment und umfaßte 90 Mann. Die Dauer dieser Einquartierung steht nicht fest, vermutlich hielten sich die holländischen Soldaten nur während der Wintermonate in Norden auf. An die Stelle eines abmarschierenden Husarenkommandos traf am 14. März 1808 eine Compagnie Gendarmen ein, die von hier aus die Küste bewachen sollten. Später wurden die Wirtsleute verschiedentlich aufgefordert, Anträge auf Erstattung von Quartiergeldern beim Magistrat vorzulegen. In welcher Form die betreffenden Hausbesitzer für die über Jahre reichende Einquartierung entschädigt wurden, ist nicht bekannt.

Als drückend erwiesen sich für alle Ostfriesen die von der holländischen Administration verfügten Steuerzahlungen. Neben einer Grundbesteuerung für Haus- und Grundbesitz mußten für alle Gebrauchsgüter und Waren, besonders aber für Luxusgüter, hohe Abgaben gezahlt werden. Häufig gab es bei der Festsetzung der Steuern Ungerechtigkeiten; die Steuereinnehmer waren äußerst verhaßt.

Verheerend wirkte sich für den ostfriesischen Seehandel die Sperrung der Häfen aus. Jede Verbindung mit England und jedes Zusammentreffen mit englischen Schiffen wurde strengstens verboten. Es blieb nur der Schleichhandel über Helgoland, um nicht auf die begehrten Kolonialwaren wie Tee oder Kaffee verzichten zu müssen.

Die Situation verschärfte sich noch, als Ostfriesland 1810 als französische Provinz "Departement Ost-Ems" dem Kaiserreich Napoleons direkt einverleibt wurde. Ständig patrouillierten französische Kanonenboote vor der Ems-mündung, Gendarmen und Zöllner, im Volksmund "Komisen" genannt, überwachten auch die kleinsten Häfen bei Tag und bei Nacht. Die Bürgermeister hießen nun "Maire", statt Holländisch wurde Franzögisch zur Amtgsprache erhoben.

In Norden muß sich schon zu Beginn des Jahres 1810 eine französische Abteilung aufgehalten haben, denn nach vorliegenden Quellen wurde der Norder Kaufmann Voß am Abend des 21. Januar 1810 im Beisein von anderen Norder Bürgern von einem französischen Major angegriffen und beleidigt. Die Beschwerde legte man dem verantwortlichen Offizier schriftlich vor.

Im umgekehrten Falle beschwerte sich am 9. Juli 1810 der in Emden stationierte französische Kommandierende darüber, daß der Norder Magistrat sich geweigert habe, französischen Douaniers (Zolleinnehmern) Quartier zu geben. Er drohte dem Magistrat, die Douaniers im erneuten Weigerungsfalle auf Kosten der Stadt in einen Norder Gasthof verlegen zu lassen.

Daß die Norder sich gegen Einquartierungen wehrten, ist verständlich. So hatte im Frühjahr 1810 der Magistrat, als bekannt wurde, daß französische Kavallerie in die Stadt einziehen sollte, den Landdrosten in Aurich wissen lassen, daß in Norden nur wenige öffentliche und private Gebäude vorhanden wären, die sich zum Unterstellen von Militärpferden eigneten. Der Mangel an Pferdesställen in der Stadt erklärte sich aus der Tatsache, daß in Norden kein Pferdemarkt gehalten werde und auch kein Durchzug von Koppelpferden stattfinde, weil Norden an der Seeküste gelegen und daher nicht für den Pferdehandel in Frage komme.

Daß diese berechtigten oder nur vorgeschobenen Argumente bei dem französischen Gouverneur in Aurich Gehör fanden, muß bezweifelt werden, denn Ende April 1810 ließ der Magistrat in Norden durch den Gerichtsdiener folgende Bekanntmachung verbreiten:

"Es wird hiermit jedem Bürger bekannt gemacht, sich von Stund an bereitzuhalten, Einquartierung aufzunehmen. Jeder Soldat bekommt Frühstück nebst Schnaps, Mittagessen mit Fleisch und Abendbrot nebst Bier. Von guter Aufnahme wird die Behandlung abhängen.

Norden, in Curia, den 23. April 1810. Der Magistrat."

Maire von Glan ließ wenig später bekanntgeben, der hiesige französische Platzkommandant habe angezeigt, daß am Abend vorher einige Offiziere "von bösen Menschen auf dem Siel in einer ehrenrührigen Art" angegriffen worden seien. Der Bürgermeister wies die Norder Bürger darauf hin, daß sie sich durch solches Benehmen der Gefahr aussetzten, bestraft zu werden. Außerdem würde eine stärkere Einquartierung die unausbleibliche Folge sein. Das Zusammenrotten der Bürger auf den Straßen wurde verboten. Nach 9 Uhr abends durften sich die Bürger nicht mehr in den Wirtshäusern aufhalten.

Es ist auch vorgekommen, daß die Franzosen mehr von ihren Quartiergebern verlangten, als recht und billig war. Deshalb verfügte der Präfekt des Departements Ost-Ems, die Einwohner seien nur verpflichtet den Soldaten "Wohnung und einen Platz beim Feuer" zu geben.

Nur selten erhielten die geplagten Gastgeber Dank für ihre Mühe. So war das Schreiben des Majors Dumontel, Kommandant des 2. Bataillons vom 2. französischen Linienregiment, vom 2. Juni 1810 sicherlich eine Ausnahme. Er bescheinigte dem Norder Magistrat, daß der Bürgerrat und die Einwohner Nordens sich sehr gut und großmütig gegenüber den drei Kompagnien betragen hätten, die vom 20. Mai bis zum 3. Juni 1810 in der Stadt einquartiert gewesen wären.

1811 verpflichtete ein kaiserliches Gesetz alle Bürger zur Annahme eines verbindlichen Familiennamens.

Im März 1811 fand die erste Aushebung von ostfriesischen Rekruten für die französische Armee statt.

Wer von den wehrpflichtigen jungen Männern beim Losen eine niedrige Zahl zog, mußte sich den Musterungsbehörden stellen. Er hatte "ein schweres Los" vor sich. Zog jemand eine hohe Zahl, blieb er vom Militärdienst befreit. Er hatte ein "leichtes Los" gezogen.

Fand sich ein Stellvertreter, der bereit war, für eine bestimmte Summe an die Stelle des "Gezogenen" zu treten, so konnte dieser dem Militärdienst entgehen. Oft genug legten die Familien den ersparten Notgroschen zusammen, um einen Angehörigen freizukaufen.

In zahlreichen Briefen und Eingaben aus der "Franzosenzeit" findet sich der ins Plattdeutsche übernommene Ausdruck "Rampelsant" für den französischen Begriff "Remplaçant" für Ersatzmann. Häufig kommt die Redewendung vor: "Er kaufte für seinen Sohn einen Rampelsant". Nach Dunkmann ("Ostfriesland in der Zeit der Befreiungskriege", Aurich 1913) sind bis 1813 in sechs Aushebungen 2326 Rekruten eingezogen worden. Die gezogenen Rekruten wurden häufig in weit entfernt liegende Garnisonen beordert und marschierten unter Bewachung zu ihren Regimentern nach Groningen, Amsterdam oder sogar nach Paris.

Bis heute ist nicht bekannt, wieviele Ostfriesen am Rußlandfeldzug Napoleons teilnahmen beziehungsweise wieviele davon nicht zurückgekehrt sind. Wie eine Tafel in der Ansgarikirche in Hage ausweist, sind allein aus dieser Gemeinde zwölf junge Männer "im Feldzug 1811-1813" gefallen.

Die Briefe des 1790 in Wundel bei Schoonorth geborenen Freerk Siefken Schipper aus der Garnison Groningen und der Normandie, wo er als französischer Kanonier an Beschießungen englischer Schiffe teilnahm legen Zeugnis ab von dem Schicksal der Ostfriesen, die gegen ihren Willen für ein fremdes Land in den Krieg ziehen mußten.

Freerk S. Schipper erlebte auf französischer Seite die Niederlage der Franzosen gegen die Preußen bei Briennes vor Paris mit. Wenige Wochen später gelang es ihm, zu den Preußen überzulaufen. Am 18. April 1814 erhielt er den Marschbefehl in Richtung Heimat. Wahrscheinlich wurde er auf dem Weg dorthin von preußischer Seite reaktiviert und gegen die Franzosen eingesetzt. Die Familiengeschichte überliefert, daß er nach dem Sieg über Frankreich mit in Paris einmarschiert ist. Erst am 21. Februar 1816 ist Freerk S. Schipper als Unteroffizier aus Königlich-Preußischen Diensten entlassen worden. Er kehrte nach Wundel zurück und wurde Landwirt. 1833, im 43. Lebensjahr stehend, heiratet er Charlotte Janssen aus Neuharlingersiel.

Die folgenden Ausschnitte aus den wiederaufgefundenen Originalbriefen Schippers geben Eindrücke von dem Fußmarsch nach Cherbourg und seinen Erlebnissen in den Kämpfen vor Paris wieder:

Groningen, 26. April 1812

Geliebte Eltern, Brüder und Schwester!

... Wir sind nun auseinander geteilt und in Compagnien gemacht, ich bin unter die Canoniers gekommen. Im ganzen 15 aus Ostfriesland. Ich habe aber einen besten Schlafkameraden getroffen, der ist aus Jever... Wir haben es auch noch mäßig gut. Tags zweimal gibt es was zu essen, des morgens um 10 Uhr Suppe und um 4 Uhr ander Essen mit einem Stück Fleisch. Geld haben wir im Ganzen 5 Stüwer empfangen, jeder hat seine eigenen Kleider noch an. Sie sagen, wir kriegen blaue Kleider (=Uniformen)... hier ist alles teuer. Ein kleiner Schnaps 2 Stüwer, Kanne Bier 4 Stüwer, Wein 22 Stüwer. Das nimmt Geld weg... sie sprechen hier stark, daß Frieden mit England werden soll. Wenn das gelingt, dann glaube ich, werden wir alle frei Ich will aber thun, was ich kann, um frei zu werden... Wir thun nichts, liegen was beieinander herum, doch was soll man thun, man muß sich sputen... Grüße Euch alle freundlich und hoffe zu bleiben Ihr lieber Sohn...

Groningen, den 6. Mai 1812

Schreibt auch über die Losung (= gemeint ist das Losziehen), ob es wohl bald wieder geht. Geliebte Eltern, wir müssen uns trösten, Wir sagen doch: mit sechs Jahren sind wir alle frei. Das muß man eben durchstehen. Ihr könnt es nicht glauben, wieviel Bauernsöhne hier unter uns sind, die auch alle Rampl. (=Rampelsant) gehabt haben genauso wie ich... <Vermutlich wurden die anfänglich Freigekauften später doch eingezogen.>

Douay, den 8. August 1812

... Sind 23 Tage unterwegs gewesen, worunter 4 Rüsttage (Ruhetage) sind. Wir sind den ersten Tag von Groningen nach Assen marschiert, das waren sechs Stunden... den 4. Tag auf Zwolle... dann nach Nymwegen, dann auf Breda, das waren zusammen 15 Stunden. Da hatten wir wieder Rüsttag. In Antwerpen lagen große Linienschiffe... Hier (= in Douay) liegt jetzt viel Volk, so an die 10 000 Mann...

Cherbourg, den 13. April 1813

Wir sind 280 Fußstunden von Delfzyl (= entfernt)... Caen ist eine große Stadt, darin wird viel Handel getrieben, sie liegt noch weit von der See, doch da fließt ein Fluß dahin (Orne), wo große Schiffe drin fahren können... Von da sind wir nach hier marschiert. Wir liegen eine halbe Stunde vor der Stadt, in ein er festen Schanze... Oben stehen die Kanonen, darunter die Baracken, wo wir schlafen. Auf dieser Schanze stehen an die 100 Kanonen. Meist von die 36 Punders. Solche Schanzen sind hier 4 vor der Stadt. Und hinter der Stadt, auf einem hohen Berg, da sind 2 Schanzen - mit großen Kanonen versehen. Die Engelsen sind alle Tage so nahe, daß man sie wohl beschießen könnte, aber sie (= die Franzosen) lassen sie stille zufrieden. Da wird kein Schuß nach ...

Cherbourg, den 16. Mai 1813

Und hier kommen alle Tage Berichte, die besagen, daß die Ostfriesen nicht auf die Schiffe wollen, und hier sind auch noch keine gekommen. Wenn die hier gekommen sind, sind unterwegs viel von desertiert. Sobald sie hier kommen, müssen sie sogleich auf die großen Schiffe, wo sie nichts als pro Tag 2 mal Pferdebohnen bekommen... Zum Essen haben wir es noch ordentlich, wir machen es uns noch nach alter Sitte... Waschen tun sie (= die französischen Frauen) bei fließendem Wasser, da sitzen sie auf den Knieen her und haben ein Brett in der Hand, damit schöpfen sie das Wasser darauf, und dann schlagen sie solange mit dem Stück Holz darauf, bis es rein ist. Manchmal schlagen sie es auch kaputt. Die Weiber tragen Hüte auf dem Kopf, die sind gewiß ein Fuß hoch und eine halbe Eile breit... Und sie arbeiten so gut wie die Männer. Sie reiten auf Pferden so gut wie der beste Kerl... Vergangene Woche sind hier noch viele englische Waren (= wahrscheinlieh Schmuggelware) verbrannt. Eine Ladung Kattun. Gestern ist hier auch ein Brie fan gekommen, darin stand, daß die Engländer mit 600 Schiffen vor Holland lägen, um Landung zu tun... Ob die Consseribthion (Conscription = Aushebung) bald wieder geht?...

Cherbourg, den 28. Juni 1 813

... Die Engländer sieht man hier alle Tage genug, aber sie tun nichts. Als letzt kam ein Schiff so nahe, daß es etliche Male schoss auf einem der Schiffe, die hier liegen, da schossen wir auf ihn mit ein 36 Pfunder, da ging es geschwind zurück...

Heinitzpolder, den 14. Mai 1814

... Aber ich habe gedient und mein Leben für die Franzosen wagen müssen. Es war nichts anderes, als ob es Kugel bei uns regnete. Wir hatten Kanonen, die wurden jeder Schuss mit 8 Pfund Pulver und 300 bis 400 Kugeln geladen. Aber wo die hin gin g, da blieben auch alle liegen. Und doch verloren wir vor Paris 15 000 Mann und etliche Kanonen. Da kamen wir au fein Fort, allwo wir 14 Tage blockiert gewesen sind und hatten bald nichts zu essen noch trinken. Wie das da endlich vorüber war, da bin ich zu den Preussen gegangen und habe mein Passport geholt. Da wollten die Franzosen mich nicht gehen lassen und haben mir meine Kleider abgenommen... Und so ging ich fort mit mein eigen gute Sachen...

So weit die Briefe. - Zu Beginn der Rekrutierung von Ostfriesen für die französische Armee war es an mehreren Orten zu Unruhen gekommen, doch die Franzosen gingen hart gegen die Meuterer vor. So wurden am 24. Mai 1811 neun Ostfriesen zum Tode verurteilt, andere zu langjährigen Kettenstrafen. Aus dem Unterbezirk Timmel brachte man dreißig Seeleute unter starker Bewachung nach Antwerpen.

Mit der Erhebung Preußens gegen Napoleon im Jahre 1813 und dessen Niederlage in Rußland endete die französische Fremdherrschaft. Aber viele Ostfriesen hatten ihr Leben für den Eroberer hergeben müssen. Die Nachrichten von den verlorenen Schlachten Napoleons verbreiteten sich wie ein Lauffeuer.

Als die französischen Soldaten abzogen, rief der preußische König alle wehrfähigen Männer in Ostfriesland auf, in die Landwehr oder in den Landsturm einzutreten. Der Ruf verhallte nicht ungehört. Unzählige Freiwillige meldeten sich bei den Sammelstellen. Auf dem Blücherplatz in Norden wurde das "Ostfriesische Freiwilligen Jäger Detachement" unter dem Befehl des aus Pewsum gebürtigen Leutnants Sasse zusammengestellt und später durch Abteilungen aus Tecklenburg und Lingen ergänzt.

Da es damals bei Männern und Frauen üblich war, zum Andenken an gemeinsame Erlebnisse Erinnerungsblätter zu verschenken, läßt sich der Fußmarsch der Freiwilligen Jäger nach Frankreich rekonstruieren. Die Blätter sind in dem Freundschaftsalbum des aus Pewsum stammenden Leutnants A. F. Sasse enthalten (im Besitz von H. Fremer, der es für diesen Beitrag freundlicherweise zur Verfügung stellte). Die "Waffengefährten" brachten sich durch zum Teil selbstverfaßte Gedichte und Freundschaftsbekundungen in Erinnerung.

Nach der Aufstellung der Freiwilligentruppe und Feldübungen in Norden im Juni 1815 marschierten die Rekruten über Hage nach Aurich, wo weitere dienstfähige junge Leute sich anschlossen. Am 20. Juni erreichte das Bataillon Lingen. Dort verstärkte ein weiteres Kontingent aus dem Emsland und aus dem Tecklenburger Land das Aufgebot. Auf dem Weitermarsch passierte die Abteilung Wesel und gelangte Ende August 1815 nach Neubourg in der Normandie. Als weitere Stationen sind auszumachen: St. Quentin in der Picardie vor Paris, Cambrai und Mons. Auf dem Rückmarsch kampierte die

Truppe am 21. Januar 1816 in einer Sammelstelle bei Bochum, von wo aus die Landsleute in Gruppen entlassen wurden. Die Blätter weisen eine ganze Reihe Norder Familiennamen auf, darunter F. Lubinus, J. P. von Halem, R. Rulffes, L. Franzius, Conerus, G. C. A. Wenckebach, Kettler u. a. ... Die Sammlung enthält auch Texte weiterer Norder Bekannten, zum Beispiel von H. C. Peterssen geb. Kempe, Catharina Juliane Hoppe geb. Reimers, M. J. Reimers, Christine Rykena, Louise v. Closter, Justizrath Schomerus, Friederike v. Closter und andere mehr.

Zusammen mit dem Aufgebot aus Ostfriesland und dem Emsland müssen auch britische Einheiten an den Kämpfen gegen Napoleon teilgenommen haben, denn unter den Erinnerungskärtchen finden sich auch einige in englischer Sprache wie das folgende: "May the girl we love, be true. May the Man we asteem be honest. And may the Land, we live in, be free. (Frei übersetzt: Mag das Mädchen, das ich liebe, treu sein. Mag der Mann, dem ich vertraue, ehrenhaft sein. Und mag das Land, in dem ich lebe, frei sein.) - Muchale, Paymaster of the 1 Bataillon 3rd. Regiment of Westphalien Militia (= Landwehr), Bochum, 21. Januar 1816.

Der traditionsreiche Name Blücherplatz in Norden erinnert an Leberecht Blücher, den "Marschall Vorwärts", der von 1804 bis 1806 als Gouverneur des durch die Demarkationslinie vom kriegführenden Deutschland abgetrennten Gebietes in Ostfriesland hier eingesetzt war.

Ostfriesische Landwehrtruppen nahmen an der Belagerung der Festung Delfzijl teil, wo sich die französische Besatzung festgesetzt hatte. Die Ostfriesen bewährten sich auch in der Schlacht von Ligny in Frankreich und waren bei der Verfolgung napoleonischer Truppen bis Paris beteiligt. Nach der endgültigen Niederlage Napoleons bei Waterloo trafen im Februar 1816 die ostfriesischen Wehrmänner wieder in der Heimat ein und wurden überall begeistert empfangen.

Die Norder Freiwilligen wurden am Eingang des festlich geschmückten Neuen Weges durch Bürgermeister Conerus feierlich begrüßt und unter lebhafter Anteilnahme der Norder Bürger zum Vossenhuus geleitet, wo ein Festessen zu Ehren der Heimkehrer stattfand. Die überreichte silberfarbene Fahne trug die Inschrift: "Ligny-Waterloo. Den tapferen Söhnen des Vaterlandes zum herzlichen Willkommen".

Die Erinnerung an die Beendigung der napoleonischen Fremdherrschaft ist lange wachgeblieben. So wurden bei den Jahrhundertfeiern 1913 überall längs der Küste auf den Deichen Freudenfeuer abgebrannt.

Siehe Abbildung eines Militärpasses

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