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Das Pfarrhaus im Moor

9. Neue Not und große Freude

      Mit wachsendem Interesse und großem Staunen wurde der Bau unserer evangelischen Kirche nebst Pfarrhaus von den katholischen Nachbarn verfolgt. War es eine Art Eifersucht, oder meinten sie, gerade jetzt auch etwas für ihre Glaubensgenossen tun zu müssen, kurzum, durch irgendwelche Mittel und Wege hatten sie erreicht, daß sie mit einem Staatszuschuß mitten in unsere Ansiedlung hinein eine neue katholische Schule bauen durften für eine verhältnismäßig nur kleine Schar von Kindern [an der 1. Südwieke]. Vielleicht hofften sie, die evangelischen Nachbarkinder, die damals einen recht weiten, beschwerlichen Schulweg zu machen hatten, würden wegen der großen Bequemlichkeit jetzt zu ihrem Lehrer in die neue, katholische Schule kommen, zumal sie wohl wußten, daß die einzige evangelische Schule am Ort viel, viel zu klein war für die Zahl der Kinder, und die Schar der Kinder eine viel zu große für 2 Lehrer, und daß deshalb auch längst geplant war, eine zweite evangelische Schule im oberen Teil der Gemeinde einzurichten. Doch fehlten auch hierzu die Mittel, und durfte man denn bei dem vielen Bitten um Unterstützung zum Kirchenbau, auch noch immer und immer kommen, um Hilfe für eine neue Schule zu erhalten?

   Mein Mann aber kannte derartigen Bedenken in solchen Sachen nicht und arbeitete jetzt mit doppeltem Eifer, um die nötige Unterstützung auch für den Schulbau zu bekommen. Wenn die Väter der schulpflichtigen Kinder, die ja meist Schiffer und darum oft lange Zeit von zu Hause abwesend waren, mit ihren Schiffen auch erst spät abends nach Hause kamen, um schon am frühen Morgen des anderen Tages mit dem fortgehenden Wasser, der Ebbe, wieder aufzubrechen, so wußten sie, daß sie auch noch mitten in der Nacht getrost zu uns ins Haus kommen durften, um mit ihrem Pastor über neue Mittel und Wege zur Erreichung ihres Zieles zu beraten. An den ersten solcher nächtlichen Besuche denke ich noch heute mit demselben Schrecken, den ich damals bekam, als mich das laute Getrampel der hohen Wasserstiefel jener eifrigen Schulmänner aus dem ersten, tiefen Schlaf aufweckte, und als dann hinter der nur dünnen Gardine, die Schlaf und Studierraum doch trennte im provisorischen Pfarrhaus, jene kräftige, energische Rede über die Notwendigkeit der neuen Schule geführt wurde. (erst 1910 gebaut) Wohl oder übel mußte ich mich ganz still verhalten, doch dachte ich dabei ganz leise an meine früher gemachten Vorstellungen von einem Land-pfarridyll! So etwas hatte ich damals freilich nicht bedacht! Nun, alle Bitten und Vorstellungen erwirkten denn auch, daß ein älteres Schifferhaus zu einer provisorischen, zweiten Schule eingerichtet und ein neu einzustellender Lehrer gesandt wurde [Grot Köken von Altschiffer Lammert Thoben, 2. Südwieke, heute Kirchstraße 178; später beim Kaufmann Klaver, 1. Südwieke 138]. So war inzwischen Pfarrhaus- und Schulnot beseitigt, und auch die Friedhofsangelegenheit fand nach langem Kopfzerbrechen eine glückliche Lösung. Und als im Frühjahr und Sommer mit neuer Tatkraft der Kirchenbau ein großes Stück gefördert war, mußte ernstlich an die Beschaffung der inneren Einrichtung der Kirche gedacht werden, denn zu Bänken, Altar, Kanzel, Orgel und Glokken fehlten noch gänzlich die Mittel. Doch auch dem sollte abgeholfen werden. Durch zwar solides, aber auch sparsames Bauen war ein Überschuß vom Baufonds erzielt, der nach langen Verhandlungen und auf viele Bitten hin mit allerhöchster Erlaubnis nun zur inneren Einrichtung verwandt werden durfte. So erstanden Bänke, Orgel und Kanzel.

   Und wie ein Freudenfeuer durcheilte die Gemeinde die Kunde, die mein Mann telegraphisch sandte aus der Stadt, wo die Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins in diesem Jahr stattfand, daß auf inständiges Bitten hin unserer Gemeinde die Hauptgabe der Feststadt, ein schöner, wertvoller Altar, und aus mildtätiger Privathand ein wundervolles, dazu passendes Antepen-dium geschenkt sei. Nach  wiederum einem Jahre sollten wir es durch Gottes Gnade doch erleben, daß man sich rüstete, die Einweihung unserer Kirche zu begehen.

   Zu Wintersanfang war es gewesen, als wir mit warmen Herzen einzogen in die neue Heimat. Zu Wintersanfang verließen wir mit wehmütigen Gefühlen das provisorische Pfarrhaus, um in das neue freudig und beglückt einzuziehen, und Winters Anfang sollte es auch werden, als die kleine Betglocke der Schule zum letzten Male gerufen hatte, unter ihr im Schulraum noch einmal in den einfachen 4 Wänden Gottes Wort verkündigen zu hören, um uns am Sonntag darauf in dem weiten, hohen, würdigen Gotteshaus einzufinden, das sie alle in der Gemeinde fassen konnte, die da Hunger und Durst hatten nach dem Evangelium, ohne des betrübenden Gedankens uns dabei erwehren zu müssen, daß ihrer so viele draußen bleiben mußten wegen Mangels an Raum, wie im Schulhaus.

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