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Das Pfarrhaus im Moor 5.
Tiefgehende Eindrücke und neue Lebensanschauungen Doch der
Mensch gewöhnt sich ja an viel, so auch hier das menschliche Auge und besorgte
Herz, es gewöhnte sich daran, die direkten Gefahren dieser Hängewand zu übersehen,
ja, ich konnte diese Gefahr ganz vergessen, wenn ich die übervolle Schule vor
mir sah, wie nicht nur alle Bänke, sondern auch die Schultische von den
aufmerksam biederen Schiffern und Kolonisten mit ihren Frauen dicht besetzt
waren. Hatten an den Schultagen zirka 150 Kinder in beiden Schulstuben Platz, so
mußten sie sonntags oft mehr als 200 Erwachsene fassen. Wie viele treue Kirchgänger,
und doch welch kleine Zahl nur gegen 1300 Seelen, die so eifrig bemüht waren,
eine selbständige Gemeinde mit einer eigenen Kirche zu bilden. Wahrlich, treue,
wahre Christen unter ihnen, denen man ohne viel Worte den Ernst ihrer Bemühungen
ansah, die gern und freudig ihr Ja gaben, als es später hieß: 20 000 Mark aus
eigenen Mitteln aufzubringen, um damit allen treuen Helfern und Förderern ihres
Kirchenbaues zu zeigen: Wir sind bereit, zu opfern was wir haben, das Scherflein
der Witwe als Grundstein zu legen. Und wahrlich es war für den Pastor nicht
leicht, den Leuten in den meisten Fällen von dem Nötigsten zu nehmen, ihnen,
die schon an und für sich recht bedürfnislos waren und sich bei gesunden
Gliedern mit einem Tisch, Stuhl, Schrank und Bett als recht reich fühlten, noch
so außerordentliche Opfer aufzuerlegen. Auch gab
es noch manche im Hochmoor, die das Allernötigste nicht einmal hatten. Denke
ich bloß an die arme Familie jenes Mannes, der, als es mit dem Verdienst und
der Arbeit in der Stadt für seine große Familie nicht mehr ging, eines späten
Abends an unsere Tür klopfte und mit seiner Frau und sieben Kindern, zu denen
bald das achte kam, um Unterkommen und Arbeit bat, sie kamen an mit einem
einzigen Bettstück, einem Tisch und - einer Bratpfanne. Doch sie fanden bei uns
Arbeit, eine Torfhütte und gesunde Lebensbedingungen. Zwar blutsauer mußten
sie sich's werden lassen, um als Torfgräber zu verdienen. Sie kamen aber
weiter, diese Leute, denn sie waren fleißig und nüchtern. Ein fünfjähriges,
nicht getauftes Kind brachten sie mit dem letztgeborenen schüchtern uns ins
Haus mit der Bitte, sie beide zu taufen. Sie wollten ja einen neuen Wandel
beginnen, zu dessen Anfang die Taufe der zwei gehören sollte. "Aber nicht
in der Kirche die Kinder taufen, wir schämen uns unseres Versäumten." [Im
Kirchenbuch lesen wir: "Hisko Bolland, * 16.2.1885, getauft 15.1.1890;
Friedrich Wilhelm Bolland,* 15.4.1889, getauft 15.1.1890: Kinder des Tamme
Bolland, Arbeiter zu Ostrhauderfehn und dessen Ehefrau Wobke Diers, geb.
Natelberg; im Hause des Pastoren getauft, nachdem derselbe vorher die Eltern
aufgesucht und ermahnt hatte, dem Kinde die Taufgnade nicht vorzuenthalten.“] Und,
lieber Leser, es überkam mich eine hohe Begeisterung, wie ich die unter Tränen
erleuchteten Augen jener Familie sah, als wir ihretwegen die Altarkerzen auf dem
zum Tauftisch hergerichteten Wohnstubentisch anzündeten, ihretwegen das Kreuz
unseres Herrn vor die zu taufenden Kindlein stellten, und mein Mann ein für sie
passendes Trost- und Liebeswort ihnen aus der Bibel deutete. Ja, jene Blicke
waren es, jene gestammelten Dankesworte in falschem Hochdeutsch waren es, die
mir die keimende Ahnung zur vollen Gewißheit machte, daß es mit einem
Pfarridyll, den Idealen, passend für den Geist der evangelischen Pfarrhäuser,
doch ein ganz andres sein muß, als sich solch Backfischschwärmerei träumen läßt.
Von Stund an standen wir in der Gemeinde, ehrlich bemüht, mit ihr zu fühlen,
zu denken und zu handeln. Wie dringend nötig und oft so schwer das letztere
gerade werden sollte, ahnten wir damals freilich nicht. |
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